Um 16 Uhr ist die Sonne bereits untergegangen und taucht den Himmel über Kopenhagen in ein tiefes Blau. Ich ziehe meine Wollmütze tiefer und schlinge meinen Schal fester um mich, während ich am Østerbro-Ufer entlanggehe. Es ist Wintersonnenwende – der kürzeste, dunkelste Tag des Jahres – und doch schaffen es die Dänen, diese eisige Jahreszeit in etwas Magisches zu verwandeln.
Weihnachtsmärkte erleuchten die Stadt und verbinden festliche Stimmung mit dem skandinavischen Konzept von Hygge – diesem warmen Gefühl von Gemütlichkeit und Zufriedenheit. Die Luft ist erfüllt vom Duft dampfender Tassen Gløgg (Glühwein), während Einheimische an glitzernden Kanälen vorbeifahren. Ein verlockender Geruch führt mich zu einer Bäckerei namens Juno, einem der gefeiertsten Orte für Gebäck in Kopenhagen.
Drinnen umhüllen mich Wärme und der buttrige Duft, während ich zuschaue, wie Bäcker Teig zu essbarer Kunst formen. Ich kann nicht widerstehen und bestelle ihr berühmtes Kardamombrötchen. Der erste Bissen ist himmlisch – knusprige Karamellkruste, aromatischer Kardamom und weicher, fluffiger Teig. Es ist purer Hygge, eine einfache aber köstliche Leckerei, die die Einheimischen regelmäßig genießen. Und so beginnt meine Suche nach dem Grund, warum Kopenhagen einige der besten Gebäcke der Welt beherbergt.
Um Antworten zu finden, beginne ich am Anfang – bei Sankt Peders, der ältesten Bäckerei der Stadt, gegründet 1652. Versteckt im Latin Quarter zwischen pastellfarbenen Läden und Kopfsteinpflasterstraßen steht sie als Zeugnis jahrhundertealter dänischer Backtraditionen. Doch diese Traditionen haben sich im Laufe der Zeit stark weiterentwickelt.
1652 wurde die Kopenhagener Bäckerzunft gegründet, um das Handwerk zu regulieren, Qualität zu sichern und die Rechte der Bäcker zu schützen. Zugelassene Bäckereien zeigten eine goldene Kringle (ein brezelähnliches Symbol) über ihren Türen – ein Zeichen königlicher Anerkennung, das man heute noch sieht. Im 19. Jahrhundert führte ein Bäckerstreik zu einem Arbeitskräftemangel, der österreichische Bäcker in die Stadt brachte. Sie führten Techniken wie Lamination ein – das Geheimnis perfekter Croissants –, die dänische Bäcker später mit lokalen Aromen kombinierten, was zu ikonischen Gebäcken wie Wienerbrød (wörtlich „Wiener Brot“) führte.
Während Tradition nach wie vor wichtig ist, blüht in Kopenhagens Bäckereien auch die Innovation. Nehmen wir Hart Bageri – ein stylischer, aber zugänglicher Ort, den Richard Hart, ein ehemaliger Bäcker des berühmten Tartine in San Francisco, 2018 eröffnete. Mit Unterstützung von Noma (oft als bestes Restaurant der Welt ausgezeichnet) verbindet Hart klassische Techniken mit kreativem Mut. An seiner Seite steht – damals wie heute – Talia Richard-Carvajal, Harts Creative Director und COO.
Im Gespräch mit Talia wurde eines klar: Inspiration findet sie überall. In den Noma-Gewächshäusern, die vor der Eröffnung der Bäckerei für Recherchen genutzt wurden. In Hay, der dänischen Möbelmarke, die das Design und Branding von Hart prägte. Und sie lebt weiter in ihren Kardamom-Croissants und Erdbeertörtchen, zwei beliebten Gebäcken mit Harts typischem Twist.
„Wir fühlen uns wie eine moderne Kopenhagener Marke“, erklärt Talia, „aber Dänemark hat eine so starke Backtradition.“ Diese Tradition zu respektieren und zu feiern, ist unverhandelbar. Das zeigt sich in Harts klassischen Gebäcken, saisonalen Kreationen und sogar in der Art, wie Talia über das Backen spricht. „Durch das Experimentieren mit Techniken wollen wir Aromen verfeinern, ohne das zu verlieren, was bereits perfekt ist“, sagt sie.
Diese kulinarische Entwicklung geht über Hart hinaus. Claus Meyer, Mitbegründer von Noma und Pionier der Neuen Nordischen Küche, eröffnete 2010 Meyers Bageri, um die besten nordischen Zutaten zu präsentieren. „Wir arbeiten mit einem Bio-Bauernhof direkt gegenüber der Brücke zusammen“, sagt Jonas Astrup, Leiter der Entwicklung bei Meyers. „Wir verwenden nur Bio-Mehl und -Produkte, was uns bewusster macht, wie wir beschaffen und was unsere Region bieten kann.“
Doch Innovation gedeiht mit Gemeinschaft. „Wir haben Rezepte kostenlos herausgegeben, um Begeisterung zu wecken“, erklärt Jonas. „Es ist genauso schön, wenn Leute zu Hause tolles Brot backen. Hier ist etwas Sauerteig – kauft Mehl bei uns, wenn ihr möchtet.“
Die Botschaft ist klar: Zutaten zählen, Qualität zählt, Gemeinschaft zählt, Tradition zählt. Zusammen mit Handwerkskunst und einer tiefen Verbindung zur lokalen Geschichte ist es kein Wunder, dass Kopenhagen zu einer globalen Food-Hauptstadt geworden ist. Von der ersten Bäckerei der Stadt bis zu jahrhundertelanger Verfeinerung des Handwerks steht eines fest – diese Gebäcke sind unwiderstehlich. Ich konnte nicht genug bekommen.
Ich kehrte im folgenden Juni nach Kopenhagen zurück und noch einmal letzten Oktober. Inzwischen kenne ich die Metro auswendig und mache mich mit einem Zettel in der Tasche auf: Zuerst Juno. Dann Hart. Als Nächstes Meyers. Schließlich Andersen. Und das war nur Tag eins.
In einer Stadt, die für schickes Design bekannt ist, entwickelt sich die Gebäckszene Kopenhagens ständig weiter – nicht nur durch berühmte Köche, sondern auch durch Einheimische, die neue Möglichkeiten erkunden und gleichzeitig Dänemarks reiches Backerbe ehren. Heute lebt der Geist der Zunft in jeder Bäckerei weiter.