Letztes Jahr blätterte Greta Lee im Architectural Digest und entdeckte einen Artikel über ein kleines Haus auf der winzigen Insel Lopud vor der dalmatinischen Küste Kroatiens. Es klang perfekt: sonnig, ruhig und abgeschieden. Nach den anstrengenden fünfmonatigen Dreharbeiten für den neuen Disney-Film Tron: Ares, in dem sie die Hauptrolle spielt, beschloss sie, es für den folgenden Sommer zu buchen und hoffte, dass der Zeitplan passen würde. Überraschenderweise klappte es. Im Juli kamen sie, ihr Ehemann und ihre beiden Söhne im Alter von sechs und neun Jahren mit dem Schnellboot und stiegen 160 Stufen zu dem Haus hinauf, das zwischen üppigen Zypressen und Zitrusgärten lag. Endlich hatte sie Ruhe, Abgeschiedenheit und Anonymität gefunden – keine Abrufzeiten, Nachdrehs, Meetings, roten Teppiche, Presse oder irgendetwas aus Hollywood.

Doch kurz nach dem Einzug erwähnte die Haushälterin beiläufig, dass ihre Nachbarn auf beiden Seiten die gefeierten Filmemacher Ruben Östlund und Sean Baker seien.

»Albtraum!«, rief Lee beim Mittagessen im folgenden Monat. »Ich habe mir diesen Ort genau deshalb ausgesucht, weil er so abgelegen ist. Dann musste ich mich entscheiden – soll ich hallo sagen?«

Hat sie es also getan? »Absolut nicht! Man sucht sich so eine Insel ja gerade aus, um genau das zu vermeiden. Ich habe Ruben tatsächlich einmal in meinem Badeanzug gesehen und bin buchstäblich weggelaufen.« Sie lachte über die Erinnerung. »Das wird eine lustige Geschichte für wenn ich ihn endlich treffe.«

Dieses Treffen scheint für die gefragte 42-jährige Schauspielerin unvermeidlich. In den letzten zwei Jahren hatte sie keine Mangel an Hollywood-Erlebnissen und beobachtete alles mit der schrägen Perspektive einer Person, die erst nach fast zwei Jahrzehnten in der Branche Ruhm erlangte.

Lee hat sich in den letzten zehn Jahren auch eine Karriere mit ihrem trockenen Humor und scharfen Einzeilern aufgebaut. Sie spielte oft markante Typen moderner Frauen in frauenzentrierten Komödien: die mürrische Nageltechnikerin in Sisters, die Frau, die kein Kompliment annehmen kann in Inside Amy Schumer, die selbstbewusste aufstrebende Kunstwelt-Ikone in Girls, die exzentrische Downtown-Freigeist in Russian Doll und die unheimlich jugendliche Dermatologin der Upper East Side in Broad City.

Doch 2023 war Past Lives ein Wendepunkt. Ihre Darstellung der Nora, einer Frau, die zwischen ihrer Vergangenheit und Gegenwart hin- und hergerissen ist, brachte ihr Nominierungen für den Golden Globe, Critics Choice und Independent Spirit Award ein. Eine Flut von Möglichkeiten folgte: Neben Tron: Ares spielt sie in Kathryn Bigelows neuem Thriller A House of Dynamite, übernimmt eine bedeutende Rolle als Netzwerkmanagerin Stella Bak in der vierten Staffel von Apple TV+’s The Morning Show und ist in dem bevorstehenden bittersüßen Independent-Drama Late Fame zu sehen. All das hat sie in unbekanntes Terrain gebracht.

»Nichts davon war erwartet worden«, sagt sie. »Gott sei Dank ist es überhaupt nicht so, wie ich mir meine Karriere in dieser Phase vorgestellt hatte. Für Frauen gab es keine Garantie, dass man bis in die 40er weiterarbeitet – das sollte eigentlich die Zeit sein, um zurückzutreten und zu verschwinden. Aber dass das Gegenteil passiert? Ich kann nicht so tun, als wäre das nicht unglaublich verwirrend.«

Rote Teppiche sind eine weitere Bühne für Lee geworden. Sie bevorzugt skulpturale und dramatische Stile gegenüber traditionell hübschen, niedlichen oder offen sexy Looks und hat eine enge Partnerschaft mit dem Designer Jonathan Anderson entwickelt. Nachdem er Loewe im Frühjahr nach 11 Jahren verlassen hat, leitet er nun Dior, wo Lee als Botschafterin fungiert. Sie wird eine Schlüsselrolle dabei spielen, Andersons Vision für das französische Modehaus zu prägen und signalisieren, was eine aufregende neue Ära verspricht.

Ich deute an, dass es für Lee aufwärtsgeht, einschließlich ihrer Stellung in Hollywood. »Habe ich einen Platz in Hollywood?«, sinnt sie nach. »Ich weiß es nicht. Sie erwischen mich in einem komischen, vielleicht interessanten Moment, denn ich habe wirklich keine Ahnung.«

Persönlich ist Lee bodenständig – keine übertriebenen Reaktionen, wilden Gesten, auffälligen Auftritte oder lauten Impressionen. Und es scheint, als würde sie niemand im Houston’s Restaurant in Pasadena erkennen, das sie für unser Treffen ausgewählt hat. Wir treffen uns im Houston’s, einer nationalen Kette, die weder angesagt noch schick ist. Aber Lee sehnt sich nach einem richtig guten amerikanischen Burger, nachdem sie die letzten Monate in England mit den Dreharbeiten zum Netflix-Sci-Fi-Thriller 11817 verbracht hat.

»Es gibt weit interessantere Orte, aber ich mag es hier«, gesteht sie und rutscht in eine Sitzbank, die in das charakteristische warme, gedämpfte Licht des Restaurants getaucht ist. »Ich finde es seltsam tröstlich. Vielleicht ist es das Vorstadtkind in mir.«

Lee wuchs im malerischen Vorort von Los Angeles, La Cañada Flintridge, auf, als ältestes von drei Kindern. Ihre Eltern waren aus Südkorea eingewandert, und ihr Zuhause war immer voller Musik, besonders Oper. Lee führt ihre Mutter, eine klassisch ausgebildete Pianistin, als diejenige an, die ihr eine »Wertschätzung für Schönheit und Kunst« vermittelte. Sie besuchten oft Aufführungen der koreanischen Sopranistin Sumi Jo, deren Alben ständig bei ihnen zu Hause liefen. Mit der Ermutigung ihrer Mutter sang Lee, spielte Klavier, übte Modern Dance und malte. »Als ich aufwuchs, gab es kaum eine Trennung zwischen all diesen Aktivitäten«, sagt sie. »Sie waren einfach ein natürlicher Teil unseres Lebens.«

Schon als Kind fühlte Lee sich zur Schauspielerei hingezogen, und ihre Eltern unterstützten sie – wenn auch nicht ohne Bedenken. Erst nach ihrer Zulassung an der Northwestern University waren sie damit einverstanden, dass sie Schauspiel studierte. »Mein Vater ist Arzt, also hat er mir einmal aus Sorge gesagt: ›Du könntest immer noch Arzt werden.‹ Er schlug sogar vor: ›Du könntest in die Prothetik gehen, weil das irgendwie wie Bildhauerei ist‹ – wissen Sie, linke Gehirnhälfte, rechte Gehirnhälfte. Er hatte ein zweijähriges Programm gefunden. Ich war so beleidigt, dass er nicht an mich glaubte«, sagt sie mit einem schrägen Lächeln.

Die frühen 2000er waren eine andere Zeit für Schauspieler, die so aussahen wie Lee, und selbst in der Highschool und am College fand sie nur wenige Rollen. »Damals war es eine echte Frage, ob ich meinen Lebensunterhalt als Schauspielerin verdienen könnte.« Das war besonders wichtig, weil sie die erste in ihrer Familie war, die in den USA zur Schule ging. »Es ging nur darum, auf jede erdenkliche Weise erfolgreich zu sein. Und die Erwartungen waren hoch. Schule war keine lockere Sache«, erklärt sie. Während sie die Elite-Vorbereitungsschule Harvard-Westlake besuchte, fühlte sie sich unter Druck gesetzt, mehrere Advanced-Placement-Kurse zu belegen und eine perfekte SAT-Punktzahl zu erreichen (»Habe ich nicht«, fügt sie schnell hinzu und sucht Augenkontakt, um zu zeigen, dass sie nicht bescheiden ist). Während einer Besichtigung des MIT zeigten ihre Eltern auf einen Flyer eines Theaterclubs an einem Schwarzen Brett und sagten: »Siehst du? Das könntest du machen.«

Lee selbst hatte Schwierigkeiten, sich eine nachhaltige Schauspielkarriere vorzustellen, da es ihr an professionellen Vorbildern mangelte. »Das war immer schmerzhaft – Jahre lang zu verinnerlichen, dass, wenn das einzige Vorbild etwas ist, in das ich körperlich nicht hineinpasse, was mache ich dann überhaupt? Selbst jetzt ist das ein riesiger Kampf für mich, weil diese Vorbilder nicht wirklich existiert haben.«

Als Lee für Tron: Ares vorsprach, war es ihr erstes Vorsprechen seit Jahren. »Ich könnte Ihnen kaum sagen, was Tron war«, gesteht sie, aber die Rolle der Eve Kim, einer begabten Programmiererin, die in eine virtuelle Neon-Welt gezogen wird, »fühlte sich wie das komplette Gegenteil von Past Lives an, das so naturalistisch in seinem Realismus und seiner Größe war. Ich wollte etwas Anderes ausprobieren, und diese Figur widersprach vielen Erwartungen, wie sie historisch ausgesehen und gehandelt hat.« Der Film ist der dritte Teil der Disney-Franchise, die 1982 begann, aber er sticht heraus mit atemberaubenden visuellen Effekten, einem pulsierenden Soundtrack von Nine Inch Nails und vielen nostalgischen 80er-Jahre-Details wie Disketten, Flipperautomaten und Zauberwürfeln.

»Ich wollte einfach nur ein Lightcycle fahren«, scherzte Lee selbstbewusst vor einem Comic-Con-Publikum. Aber mir gegenüber wehrt sie sich gegen die Idee, dass sie sich in einer »Genre-Ära« oder überhaupt in einer bestimmten Ära befinde. »Als Schauspielerin spürt man diesen externen Druck, eine Erzählung für sich selbst zu schaffen, und ich finde das wirklich nervig, weil es so konträr zu meinem Job ist«, erklärt sie. »Mein Job verlangt, dass ich mit allen Arten von Menschen verbunden bleibe, und es geht nicht um mich«, sagt sie.

»Alles ist so strukturiert, dass man, je erfolgreicher man wird, desto isolierter ist man«, fährt sie fort. »Ich habe das bei meinen Kollegen gesehen – man fängt an, ein bisschen seltsam zu handeln. Man beginnt, sich selbst in einem Branchenkontext zu betrachten, wird zu einem Produkt. Ich hasse das, und ich verstehe, warum das Leute verrückt macht und so schädlich ist.«

Sie erinnert sich daran, in exklusive Airport-Lounges eskortiert worden zu sein, wo ihr frühmorgens Kaviar angeboten wurde. Diesen Sommer in Paris wurde ihr zum ersten Mal ein Bodyguard zugeteilt. »Ich dachte: ›Entspannen Sie sich, Sir. Ich schaffe das schon. Ich gehe nur ins Museum.‹« Während sie das Bedürfnis nach Privatsphäre und Sicherheit versteht, findet sie, dass es oft übertrieben wird. »Es ist eine Wahl. Wenn man nicht darauf einsteigt, betrifft es einen nicht. Bodenständig zu bleiben ist essentiell für meine Arbeit. Je isolierter man ist, desto mehr verliert man den Bezug.«

Dieses Unbehagen mit den Vergünstigungen des Ruhms zog sie zu Late Fame hin, einem Independent-Drama unter der Regie des zum Filmemacher gewordenen Kritikers Kent Jones. Der Film begleitet eine Gruppe von Downtown-Bohèmiens, die das Werk eines vergessenen Dichters, gespielt von Willem Dafoe, wiederentdecken. Basierend auf einer Novelle von 1895, die Wiens Kaffeehaus-Intellektuelle satirisiert und von May December-Drehbuchautor Samy Burch adaptiert wurde, bietet er einen scharfen Blick auf kreatives Erbe und die verzerrenden Effekte künstlerischer Anerkennung. »Dieser Film hat wirklich alles eingefangen, was ich über die Richtung, in die wir mit Kunst gehen, und wie wir sie konsumieren, gefühlt habe«, sagt Lee. »Sogar der Titel spricht mich an.«

»Jeder, der Gretas Arbeit verfolgt hat, weiß, dass sie witzig ist«, sagt Jones zu mir. »Sie wissen, dass sie Fokus und Intensität hat, aber auch Energie und Lebendigkeit in jede Rolle bringt.« Doch Late Fame zeigt ihre Vielseitigkeit. »Die Art, wie sie Tonlagen wechselt, eine Figur porträtiert, die immer performt... Es ist sowohl kühn als auch subtil.«

»Was ich an ihr mochte, ist, dass sie ihr Herz nicht auf der Zunge trägt«, sagt Dafoe über Lee von seiner Farm außerhalb Roms. »Man sieht sie nicht kommen. Ich würde sie nicht gerade als geheimnisvoll bezeichnen, weil sie direkt und einfach zu arbeiten ist.« Aber er gesteht, obwohl er die Zusammenarbeit mit ihr genoss, »ich weiß nicht wirklich, wer sie ist.« Er meint es als Kompliment. »Es ist eine schöne Eigenschaft, weil sie einen neugierig hält. Man fühlt sich zu ihr hingezogen, aber man kann sie nicht festnageln. Das ist ein Talent.«

In einer denkwürdigen Szene in Late Fame singt sie das Kabarett-Lied »Surabaya Johnny« für ein Zimmer voll bewundernder älterer Männer und kehrt damit zu ihren Musical-Theater-Wurzeln zurück. Eine ihrer ersten Schauspielrollen war im Broadway-Musical 2005 The 25th Annual Putnam County Spelling Bee, und als Kind träumte sie davon, wie Lea Salonga oder Heather Headley zu sein. »Ich wollte ein Broadway-Diva sein, wie Patti LuPone – obwohl«, scherzt sie trocken, »man kann nicht mehr Patti LuPone sagen.«

Lee trat schon in jungen Jahren im Singen und Tanzen an. »Jedes Mal, wenn ich etwas mache, wird klar, wie wenig die Leute über mich wissen«, sagt sie mit einem Anflug von Frustration. Eine kürzliche optimistische Calvin-Klein-Kampagne, inspiriert von Risky Business, zeigte sie tanzend in Unterwäsche, und sogar Freunde waren überrascht, dass sie keinen Tanzcoach benutzte.

Natürlich hilft es, dass sie in der besten Verfassung ihres Lebens ist und sich selbst als »Tracy Anderson-Süchtige« beschreibt, die täglich im Studio der Fitness-Guru neben einer Gruppe von Frauen außerhalb der Branche trainiert – einige Ende 50. »Ich schaue sie an und denke, warum seid ihr hier?«, lacht sie. »Ich weiß, warum ich hier bin... Aber ihr seid fantastisch! Es hat meine Perspektive verändert. Ich möchte so sein, wenn ich älter bin.« »Ich hoffe, ich kann mich mit 80 immer noch so frei bewegen.« Im Grunde nimmt sie das Leben mit immenser Begeisterung an. »Ich bin wirklich gierig nach Leben«, gesteht sie und macht sich endlich über ihren gestapelten Cheeseburger her. »Je älter ich werde, desto mehr fühle ich mich berechtigt, egoistisch zu sein in Bezug auf das, was mich glücklich macht. Ich möchte jeden Tropfen aus dem Leben pressen und nichts zurücklassen.« Sie überredet sogar ihren Ehemann, den Comedy-Autor Russ Armstrong, darüber nachzudenken, ihre vierköpfige Familie zu erweitern. »Ich möchte keine Kompromisse eingehen.«

Diese Einstellung erstreckt sich darauf, einen möglichst autarken Lebensstil an einem Ort wie Los Angeles zu verfolgen. Nach 15 Jahren in New York zogen sie und ihre Familie 2020 hierher, damit sie der zweiten Staffel von The Morning Show beitreten konnte. Sie ließen sich in einem Zweischlafzimmerhaus in El Sereno nieder, einem historischen Arbeiterviertel mit lateinamerikanischer Bevölkerung in Ost-LA, auf einem hügeligen, kaktusbewachsenen Hektar Land, das früher als Weide genutzt wurde. »Wir waren New Yorker, die versuchten, sich an ein rustikales, Steinbeck-artiges Dasein anzupassen«, erinnert sie sich. »Wir hatten keine Ahnung, was wir taten. Es gibt Schlangen und Kojoten. Es fühlt sich an wie der Wilde Wilde Westen.«

In Zukunft gab es Gespräche, dass sie in Closer am Broadway die Hauptrolle spielen soll, was die erste US-Inszenierung von Patrick Marbers kühnem modernen Klassiker seit über 25 Jahren markieren würde. Dieser Sommer brachte auch die Nachricht, dass Lee eine Adaption von Monika Kims psychologischem Horrorroman von 202