Ich tue etwas, das ich nie für möglich gehalten hätte: Ich schreibe Jil Sander eine E-Mail. Dieser Austausch hat einen ganz bestimmten Grund. Sander – die legendäre Visionärin hinter puristischer, minimalistischer Mode, die sich vor Jahren aus der Branche zurückzog, um ein ruhiges, anonymes Leben zu führen und ihre Uniqlo +J-Kollektion als Abschiedsgeschenk hinterließ – hat zugestimmt, über ihre Zusammenarbeit mit dem Möbelhersteller Thonet zu sprechen. Wie alles in ihrer langen Karriere ist auch dieses Projekt durchdacht und mit klarer Absicht entstanden.
Gerade erst auf der Milan Design Week (der jährlichen Veranstaltung parallel zur Möbelmesse Salone del Mobile) vorgestellt, ist JS.Thonet die Neuinterpretation der ikonischen Stahlrohr-Sitzmöbel und Beistelltische von Thonet, die ursprünglich in den späten 1920er-Jahren von Marcel Breuer entworfen wurden. Die in Hamburg ansässige Designerin präsentiert zwei Versionen: Nordic mit polierten hellen Holzakzenten und Serious mit schwarzer Lackierung. Beide Varianten bestechen durch Wiener Geflecht oder Lederpolster.
Wie so vieles aus Jil Sanders Werk – das eine treue Anhängerschaft (mich eingeschlossen) gefunden hat – nimmt dieses Projekt Vertrautes auf und verleiht ihm neue Dringlichkeit. (Man denke nur daran, wie sie das weiße Popelin-Hemd auf neue Höhen führte, ohne es seiner Ursprünglichkeit zu berauben.) Im Folgenden unser Gespräch, ungekürzt und direkt – so, wie sie es bevorzugt.
MH: Wie kam diese Zusammenarbeit zustande?
JS: Thonet kam mit der Idee auf mich zu, Marcel Breuers Freischwinger neu zu interpretieren. Ich besuchte ihre Manufaktur in Frankenberg, Deutschland, und durchstöberte die Archive. Die Handwerkskunst und die Sorgfalt für Qualität beeindruckten mich, also sagte ich begeistert zu.
MH: Was bedeutet Thonet für Sie?
JS: Thonet ist ein Eckpfeiler der Designgeschichte, der bis in die Biedermeierzeit zurückreicht. Sie entwickelten sich von gebogenem Holz zu Stahlrohr-Designs und arbeiteten mit Bauhaus-Meistern wie Breuer, Mies van der Rohe und Le Corbusier. Ihr Erbe steht für Modernität und Grenzüberschreitung – etwas, das mit meiner eigenen Designphilosophie übereinstimmt.
MH: Besaßen Sie bereits Thonet-Möbel?
JS: Ja, in meiner Jugend kaufte ich ein Set Thonet-Bugholzarmlehnenstühle Modell 209.
MH: Wie verlief der Prozess? Wie lange hat es gedauert?
JS: Es gab keine Eile – es war ein Experiment. Meine einzige Vorgabe war, dass Breuers Freischwinger-Silhouette unverändert bleiben musste. Ich wusste sofort, dass wir den Chromrahmen entfernen würden. Der Stuhl war so allgegenwärtig geworden, dass seine ursprüngliche Designwirkung verblasst war. Wir mussten seine Eleganz wiederherstellen, den Glanz reduzieren und neue Materialien einführen.
MH: Wie unterscheidet sich das Design von Kleidung vom Design von Möbeln?
JS: Es gibt viele Parallelen. Beide leben von Qualität und Innovation. Beim Breuer-Stuhl interpretierte ich eine bestehende Idee neu – genau wie bei meiner Version des weißen Hemdes. Man kann das Rad nicht neu erfinden, aber man kann es verfeinern: Proportionen anpassen, neue Materialien einführen und es für die Gegenwart optimieren. Da sowohl Mode als auch Möbel funktional sind, müssen sie langlebig und bequem sein. Vor allem sollten sie unsere leicht ablenkbaren modernen Blicke fesseln.
MH: Sie und Thonet teilen einen Ansatz – Handwerk, Modernität und Funktionalität zu verbinden. Wie sehen Sie das?
JS: Ich glaube an sinnvolles Design. Es hat keinen Zweck, etwas nur um der Neuheit willen zu schaffen. Design sollte uns in der Gegenwart verankern. Als ich im Nachkriegsdeutschland aufwuchs, sah ich, wie der Wiederaufbau sowohl Nutzen als auch Vision erforderte. Das ist mir geblieben. Nachdem Deutschland nach dem Krieg wiederaufgebaut wurde, habe ich eine positive Einstellung zu Veränderungen zum Besseren.
Zum Schluss: Welches ist Ihr Lieblingsstück, und wo werden Sie es in Ihrem Zuhause, Studio oder Büro platzieren?
Ich liebe alle Stücke – für jedes werde ich einen Platz finden.